Durch ihre Songs fliesst Bandenblut: Sie heissen Peso Pluma, Xavi oder Fuerza Regidas. Popstars aus Mexiko, die über Mord und Drogenhandel singen und damit die Charts aufmischen oder auf den grössten Open Airs der Welt performen. Das Genre nennt man «Narcocorrido», eine Art Gangsta-Rap aus Mexiko, oder die Trap-Version davon «Narco Tumbado». Dass diese Musik manchmal mit Drogenkartellen in Verbindung steht, scheint ihren Erfolg anzufeuern. Sieben Fragen an Musikforscher Thomas Burkhalter.
SRF: Wer sind die erfolgreichsten «Narcocorrido»-Acts?
Thomas Burkhalter: Der 20-jährige Peso Pluma, der aus einer der wohlhabendsten Familien Mexikos stammt. Eine weitere, sehr erfolgreiche Gruppe heisst Fuerza Regida aus Kalifornien. In den «Billboard Top 100»-Charts tummeln sich zurzeit ein halbes Dutzend «Narcocorrido»-Songs in den vorderen Positionen und auf Spotify werden die Tracks millionenfach gestreamt.
Wie explizit beziehen sich die Songs auf Drogenkartelle?
Im Song «La People II» von Peso Pluma geht es verklausuliert um den Drogenbaron Joaquín «El Chapo» Guzmán. Er gehörte zu den gesuchtesten Drogenbossen in Mexiko und ist seit 2017 in New York inhaftiert. In seinem Song singt Peso Pluma darüber, wie die Behörden mit der Inhaftierung von Guzmán einen wichtigen Mann eingesperrt hätten und dass seine Zelle ohne Problem wieder aufgebrochen werden könne.
Sind die Artists von Kartellen beauftragt?
Das kann nicht generalisiert werden. Längst nicht jeder Song steht mit Kartellen in Verbindung. Die Tradition der «Corrido»-Songs reicht weit zurück. So kann sich grundsätzlich jeder und jede gegen Bezahlung einen Song schreiben lassen, in dem zum Ausdruck gebracht wird, wie gross, stark und mexikanisch er/sie ist.
Regt sich auch Widerstand?
Durchaus. Es gibt Politiker, die ihre Konzerte und deren Ausstrahlung verbieten wollen. Der mexikanische Staatspräsident äusserte, dass die Songs für die mentale Gesundheit der Gesellschaft nicht gut seien. Zudem erreichen «Narcocorrido»-Künstler auch nicht selten Morddrohungen von rivalisierenden Kartellen – was dann auch immer wieder zu Konzertabsagen führt.
Wie verwerflich sind diese gewaltverherrlichenden Songs?
Einerseits kann man die Position vertreten, dass solche Songs nicht vertretbar sind und man sie verbieten sollte. Andererseits zeigen diese Lieder auch Realitäten auf. Sie weisen auf das Elend hin, das die Drogen anrichten. Somit kann man die Songs auch als eine Art musikalischen Journalismus begreifen.
Gibt es auch Frauen, die «Narcocorrido»-Songs singen?
Anders als beim Dancehall und Reggaeton stehen hier fast ausschliesslich die Männer im Vordergrund. Es gibt zwar weibliche Acts, ihre Reichweite und ihr Erfolg ist aber meist nur ein Bruchteil dessen, was die männlichen Gruppen einfahren.
Dein Mixtape für SRF 3 Sounds! geht weit über das «Narcocorrido»-Genre hinaus – was ist sonst international gerade hoch im Kurs, das aus Mexiko kommt?
«Mexican Phonk»: Ein Tiktok-Phänomen durch Tracks, die im Gegensatz zu den «Narcocorrido»-Songs in Heimstudios und weitgehend ohne Budget produziert werden. Extrem übersteuerte, bassgetriebene Musik, die Mariachi-Traditionen durch den digitalen Fleischwolf dreht und damit viral geht.
Auf der anderen Seite des musikalischen Spektrums fungiert die Experimentalmusik-Szene in Mexiko Stadt. Auch sie lässt aufhorchen. Erwähnenswert ist die in Mexiko Stadt lebende Cellistin Mabe Fratti und ihr global gepriesenes Projekt «Titanic».
Das Gespräch führte Claudio Landolt.